Seele

Liebe Mitarbeiterin, lieber Mitarbeiter,

ich vermute mal, dass die meisten Menschen sich nicht groß einen Kopf machen, was ihre Seele ist. Haben wir etwas in uns, das man Seele nennen könnte? Und: Wo in uns ist die Seele? Im Kopf, im Herzen, im ganzen Körper? Oder ist die Seele nur eine Einbildung unserer Gehirnzellen? Ist sie unsere Persönlichkeit? Lebt sie weiter, wenn unser Körper stirbt? Sind wir nur Apparate, die dem Verschleiß unterliegen und irgendwann halt nicht mehr laufen – von Seele keine Spur?

Das sind Fragen die man sich stellen kann, wenn man es will. Man sollte sie sich aber nur stellen, wenn man bereit ist, dabei auf noch viel mehr Fragen zu stoßen.

Vor etwa 100 Jahren gab es einen Wissenschaftler, der einen Versuch machte, der uns heute kurios erscheint: Er ging davon aus, dass jeder Mensch eine Seele „hat“. So wie wir ein Herz, ein Gehirn, Blut in den Adern und Atem in der Lunge haben, genau so – so dachte Duncan MacDougall – haben wir eine Seele. Wenn die Seele den Körper verlässt – so schloss er weiter – müsse doch ein Gewichtsverlust messbar sein. Er stellte ein Bett auf eine hochempfindliche Waage. Dort wog er Sterbende vor und nach dem Todeseintritt. Aus den gewonnenen Messungen erstellte er einen Durchschnittswert und kam auf das Ergebnis, dass die Seele ca. 21 Gramm wiegen müsse.

Im Jahr 2003 wurde der Spielfilmthriller „21 Gramm“ gedreht; er spielt auf die Vermessung der Seele durch MacDougall an. Wir schmunzeln heute darüber. Spätere Wissenschaftler haben die Messfehler erkannt. MacDougalls Hauptfehler war wohl seine feste Annahme, dass die Seele ein Etwas ist, das Masse hat. Er glaubte sogar, auf Röntgenaufnahmen den Schatten der Seele zu erkennen.

Ist nun die Folgerung, dass es die Seele doch nicht gibt? Dann hätte ich als Seelsorger deutlich den rechten Beruf verfehlt.

Jedoch: Wir sprechen von der Seele als von dem, was unsere Person ausmacht. Unsere Seele umgreift unsere Psyche, unser Denken, unseren Geist, unseren Glauben, unsere leiblichen Empfindungen: Alles, was uns prägt und ausmacht. In der Seele greift eines in das andere. Insofern macht es Sinn, von der Seele zu reden und ihr Aufmerksamkeit zu widmen.

In einem Psalm spricht ein Betender mit „seiner“ Seele: „Was betrübst Du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?“ Offenbar spüren wir uns als Seele. Und für die Qualität unseres Lebens ist entscheidend, dass die Seele in ruhigeres Fahrwasser kommt, wie bewegt die „raue See“ um uns auch sein mag.

Der Psalmbeter gibt dann „seiner Seele“ einen Rat: „Harre auf Gott“ – das heißt: Rechne mit Gott, beziehe ihn in Dein Denken und Fühlen ein, lass ihn auf Dich einwirken. Wie wenn Gott das entscheidende Gegenüber zur Seele wäre.

Im Bibelbuch des Hiob steht: „In Gottes Hand ist die Seele von allem, was lebt.“

Und der Kirchenvater Augustin schrieb: „Meine Seele ist unruhig bis sie Ruhe findet in Dir, o Gott.“

Es grüßt Sie herzlich und wünscht Ihnen einen nachdenklichen Tag

Ihr Pfarrer und „Seel“sorger

Jochen Walker